LiquidText 4 erschienen – Fortschritt geht anders

Vor einiger Zeit habe ich hier LiquidText vorgestellt und gezeigt, wie ich die App für meine tägliche Arbeit in einem Forschungsprojekt nutze. Jetzt ist LiquidText in Version 4 erschienen – und enttäuscht mich.

LiquidText* ist eine App mit der man PDFs lesen und bearbeiten kann. Der Clou ist aber, dass hier nicht nur Papier imitiert wird, sondern dass die Vorteile genutzt werden, die nur digital möglich sind. Die zwei Kernfeatures sind dabei zum einen, dass man das Dokumente zusammenschieben kann, um nur Stellen angezeigt zu bekommen, die beispielsweise mit einem Highlighter markiert wurden. So lassen sich auch mehrere PDFs gleichzeitig anzeigen. Und das ist natürlich eine großartige Erleichterung, wenn man wirklich intensiv arbeitet. Sei es, um auf eine Klausur zu lernen, Interviewprotokolle zu analysieren oder weil man Ergebnisse aus verschiedenen Studien miteinander vergleichen möchte.

Das zweite Alleinstellungsmerkmal ist der sogenannte Workspace. Das ist eine Arbeitsfläche auf der extrahierte Textstellen oder ganze Seitenteile landen. So lassen sich Teile aus einem oder auch mehreren PDFs neu anordnen und mit eigenen Notizen und Kommentaren verbinden. Am Ende hat man dann eine Mindmap, die viel besser geeignet ist, um sich die interessanten Inhalte auch wirklich zu merken, als wenn man nur das PDF lesen und ein bisschen unterstreichen würde.

Die Benutzeroberfläche von LiquidText wurde behutsam überarbeitet – wirklich modern ist das leider nicht

Version 4 bringt Tags und eine bessere Suche

In Version 4 gibt es nun ein großes neues Feature, eine dazu passende Ergänzung sowie ein nettes Extra. Am wichtigsten ist sicherlich, dass Dokumente und Exzerpte nun Tags bekommen können. Ich kann mir hier einen Usecase vorstellen, in dem man diverse Exzerpte aus verschiedenen PDFs angesammelt hat und diese nun gruppieren möchte. Angenommen ich möchte mehrere naturwissenschaftliche Studien miteinander vergleichen. In diesem Fall könnte ich so die Ausschnitte zu Untersuchungsdesign, Stichprobe, dem Experiment selbst und den Ergebnissen gruppieren.

Tags können außerdem eine Kategorie und eine Farbe bekommen. Wer also wirklich intensiv damit arbeiten möchte, sollte auf diese Weise genügend Möglichkeiten zur Organisation bekommen.

Tags können eine Kategorie und eine Farbe bekommen

Damit diese Tags auch sinnvoll genutzt werden können, hat Version 4 auch die Suche entsprechend verbessert. Von nun an kann nach Tags gesucht werden. Außerdem ist es nun möglich, im Workspace nach Exzerpten und Kommentaren zu suchen. Mir gefällt dabei gut, wie die Präsentation der Suchergebnisse gelöst ist. Sucht man im Workspace, leuchten die Exzerpte auf, die das gesuchte Wort beinhalten. Alle anderen werden abgedunkelt dargestellt. Ärgerlich ist aber, dass innerhalb des Exzerpts nicht auch noch das gesuchte Wort markiert wird. Hat man es also mit einem langen Abschnitt zu tun, so ist man gezwungen, selbst nach der genauen Stelle zu suchen.

Ein Design wie aus dem Jahr 2012

Neben der Möglichkeit Tags zu vergeben und nach ihnen zu suchen, hat sich noch eine Sache verändert: die Aufmachung der App. Die Macher*innen sprechen selbstbewusst von einem „new, cleaner interface“. Ich würde dem bedingt zustimmen. Ja, das Design ist hier und da erneuert und auch ein bisschen übersichtlicher. Wirklich viel getan hat sich aber nicht. Am auffälligsten sind noch die neuen Buttons am oberen Rand des Bildschirms. Der grundlegende Stil ist aber nach wie vor der alte und der ist – vorsichtig ausgedrückt – angestaubt. Sicher werden das manche anders sehen, ich mag das Design aber überhaupt nicht. Aber gut. Am Arbeiten hindert es mich nicht wirklich, von daher ist das ein nachgeordnetes Problem.

Die Menüleiste wurde überarbeitet

Immerhin kann man in Version 4 nun den Hintergrund der Workspaces verändern und den eigenen Vorstellungen anpassen. Standardmäßig wird ein gepunkteter Hintergrund genutzt, es sind aber auch Karos Linien oder einfach gar nichts möglich. Außerdem lässt sich die Farbe und noch ein paar kleinere Sachen verändern.

Für den Hintergrund des Workspaces gibt es nun diverse Einstellungsmöglichkeiten

Das war es dann aber auch schon. Mehr ist in Version 4 nicht zu holen. Und das enttäuscht mich, da es sich eher nach einem Punkt-Release anfühlt. Dabei gäbe es für die Entwickler*innen genug zu tun. LiquidText ist nämlich vieles, aber ganz bestimmt keine moderne iPad-App.

Sicher hat LiquidText eine lange Geschichte auf dem iPad und auch ganz bestimmte Anforderungen, da es eben vieles anders macht als die meisten Apps. Das ist auch gut so, weil man ja auch ein ganz besonderes und vor allem produktives Nutzungserlebnis bekommt. Dennoch hätte die App ein schöneres und moderneres Design verdient. Die UI-Veränderungen in Version 4 sind zwar sichtbar, machen es aber in meinen Augen nicht besser. LiquidText bräuchte mal eine Generalüberholung, um nicht mehr wie eine App aus dem Jahr 2012 auszusehen.

Keine modernen APIs

Design ist das eine. Funktionalität das andere. Und in diesem Punkt ist LiquidText mindestens genauso angestaubt. Moderne iPad-APIs sucht man nämlich vergeblich. Hierzu muss man wissen, dass Apple den App-Entwickler*innen verschiedene Schnittstellen bzw. Grundfunktionen zur Verfügung stellt (sog. APIs), damit bestimmte Funktionen einfach in Apps einzubauen sind und nicht jede*r alles neu erfinden muss. In den letzten Jahren ist hier einiges hinzugekommen. Allerdings merkt man davon bei LiquidText wenig.

Es gibt z.B. die Möglichkeit, dass Apps in mehreren Instanzen gleichzeitig laufen können. Microsoft Word unterstützt das z.B. seit kurzem und es ermöglicht mir, mehrere Word-Dokumente gleichzeitig auf dem iPad geöffnet zu haben, sodass ich zwischen ihnen hin- und herspringen kann. Ich kann so auch verschiedene Dokumente mit jeweils einer anderen App im Splitscreen anzeigen, um an verschiedenen Projekten zu arbeiten. Klar kann man mehrere PDFs auf einmal in LiquidText bearbeiten, das ist ja ein Kernfeature der App. Ich kann aber nicht mehrere Projekte gleichzeitig öffnen und das ist schade.

Mauszeiger-Integration wäre nützlich

Ein anderes Beispiel ist die fehlende Mauszeiger-Integration. Mit iPad OS 13.4 hat das iPad einen ordentlichen Mauszeiger bekommen. Apps können nun die entsprechende API nutzen, um Elemente der Benutzeroberfläche mit dem Mauszeiger auswählbar zu machen. Auch sogenannte hover states funktionieren prinzipiell. Das bedeutet, dass man mit dem Mauszeiger über einem Element „schwebt“ und dann z.B. ein Erklärtext angezeigt wird. Das muss aber alles gar nicht sein. In der einfachsten Form erkennt der Mauszeiger einfach das auszuwählende Element und passt sich ihm in seiner Form an, sodass das auswählen und klicken mit Maus oder Trackpad einfacher wird. Ein weiterer sehr nützlicher Anwendungsfall ist, dass der Mauszeiger sich zu einem Textcursor verwandelt, wenn man sich Text nähert. Das wäre natürlich bei einer App wie LiquidText von großem Wert, da sich dann Text viel einfacher extrahieren ließe. Leider sucht man diese Funktionalitäten vergebens.

Diese zwei Beispiele sollten ausreichen, um zu demonstrieren, dass LiquidText einfach zu angestaubt ist. Weitere Beispiele ließen sich anfügen; das Fehlen von Siri Shortcuts Integration zum Beispiel. Was ich damit sagen will ist folgendes: LiquidText ist nach wie vor eine tolle App, die nicht nur ein Konzept aus der analogen Welt digitalisiert, sondern die genuinen Stärken des Digitalen nutzt. Es ist aber leider auch eine App, die eine grundlegende Modernisierung nötig hatte. Version 4 bringt diese leider nicht.


Update 03.06.20

Ein kleines Update möchte ich noch anbringen. Und zwar gibt es möglicherweise einen guten Grund, wieso LiquidText 4 auf dem iPad kein ganz großes Update geworden ist. Und zwar gibt es LiquidText nun für Windows*! Das ist natürlich super, da die App ja trotz des eher enttäuschenden Updates immer noch sehr nützlich ist. Sie ist ja nicht schlechter geworden, nur halt nicht so viel besser, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich habe sie z.B. erst gestern wieder für einen Text für meine Promotion genutzt. Zur Windows-Version kann ich leider nichts sagen, aber die Screenshots lassen eigentlich darauf schließen, dass sich die Version nicht von der fürs iPad unterscheidet. Und das wäre ja eine sehr gute Nachricht.


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